Arbeitsblatt 1: Balkone, Galerie, Laub oder Loggia

Bearbeitet von Lorenz Bieger

Wer die bauliche Entwicklung in der Fränkischen Schweiz verfolgt, dem fällt auf, dass in den letzten Jahren geradezu eine Balkonwelle über unsere Heimat hereingebrochen ist. Nicht nur ihre Zahl und Ausdehnung haben ständig zugenommen, auch die Balkongeländer oder Umwehrungen, wie ihre korrekte Bezeichnung lautet, haben in jüngster Zeit eine auffällige Wandlung durchgemacht.

Waren es in der Vergangenheit oft unschöne Kunststoff- oder Betonkonstruktionen, welche das Gesicht mancher Häuser verdarben, so sind nun im Gefolge der Nostalgiewelle allerorten Holzgeländer zu bewundern, die zwar den guten Willen ihrer Erbauer dokumentieren, aber trotzdem zu einer Verfremdung unserer fränkischen Hauslandschft führen." Walter Büttner

Lexikalische Erklärung der Begriffe

BALKON (franz., ital., germ.)
eine offene, durch ein Geländer (Brüstung) gesicherte Plattform, die auf aus der Wand herausragenden Trägern (Balken!) ruht.

Sie dient der Erweiterung von Räumen der Obergeschosse ins Freie hinaus (in südlichen Ländern). Seine vielfache architektonische Anwendung erklärt sich wohl daraus, dass er dem Repräsentationsbedürfnis verschiedener Epochen dienen konnte (erhöhte Zurschaustellung). Die Großstadtarchitektur bietet den Bewohnern des Hochhauses auf dem Balkon den eigenen "Platz an der Sonne" .

ALTAN
Balkon, der vom Boden aus mit Säulen gestützt wird;

GALERIE (griech., ital.,)

  1. schmaler, langer Gang (raumverbindend), Laubengang
  2. Verteidigungsgang (in der Mauer, einseitig offen),
  3. balkonartiker Umgang (am Heck alter Kriegsschiffe),
  4. Laubengang um das Obergeschoss eines Alpenblockhauses,
  5. Laubengang = mehrgeschossige Bogengänge, orientiert zum Innenhof in Bürgerhäusern und Schlössern (angelehnt an den Kreuzgang der Klosteranlagen).

LAUBE = LOGGIA (franz., ital., germ.,)
nach einer Seite offener, überdeckter, kaum oder gar nicht vorspringender Raum im Obergeschoss eines Hauses;

GIEBELLAUBE
überdachter, einseitig offener Gang mit Brüstung am Giebel des Hauses;

SEITENLAUBE
wie Giebellaube, nur an der Längsseite (Traufe) des Hauses);

LAUBENGANG
von ihm aus werden einzelne Kammern/Zimmer erschlossen;

LAUBENGANGHÄUSER
verschiedene Wohnungen auf mehreren Etagen/Stockwerken werden durch Laubengänge erschlossen.

Literaturhinweise

  • DTV: Atlas zur Baukunst Bd. 1+2, München 1974;
  • Renata Trincanato: Venedig, Wohnstättenarchitektur, Kanalbooks, Venedig 1980;
  • Konrad Bedal: Historische Hausforschung, Münster 1978;
  • Konrad Bedal: Fachwerk in Franken, Hof 1980;
  • vers. Schriften vom Arbeitskreis Deutsche Hausforschung, Münster,
  • vers. Schriften vom Bayerischen Landesverein für Heimatpflege e.V., München.

Die Entwicklung des Balkons nimmt ihren Anfang wahrscheinlich in den südlichen Ländern. Balkon und Galerie kannte man schon in der minoischen Kultur (ca 2000 Jahre v. Chr. auf Kreta).

Seltene Giebellaube an einem Gerberhaus

In der sommerlichen Hitze des Mittelmeerraumes empfindet man den abendlichen kühlen Luftzug als angenehm. Raumhohe Fenstertüren werden geöffnet. Die notwendige Absturzsicherung wurde mit einer kleinen Plattform zum Balkon. Die Wärmeleitung durch die tragenden Elemente nach außen spielt in diesem Klimabereich keine Rolle. Das Schauen und Plaudern vom Balkon in den engen, schattigen Gassen italienischer Städte ist eine willkommene Nutzungserweiterung. In den klimatisch nicht so begünstigten Gebieten nördlich der Alpen bildeten sich andere Konstruktionen aus.

Unter weit ausladenden Pfettendächern in schneereichen Landstrichen baute man schmale Laufgänge um das Obergeschoss des Hauses. Auf diesen Schlechtwetterumgängen erreichte man meist auch das "Häusla". Natürlich wurde solch eine Galerie vielseitig genützt (u.a. stapelte man darunter das Brennholz).

Am Schwarzwaldhaus findet man manchmal abgewandelte Konstruktionen. Vergebens wird man aber solche am niederdeutschen Hallenhaus und am Gulfhaus des norddeutschen Raumes suchen.

Alte Dorfschmiede mit Außenerschließung; die oben liegende Wohnung und die Toilette werden über den Laubengang erreicht

Im fränkischen Siedlungsgebiet waren die Bedürfnisse wieder ganz anders.

Am fränkischen Bauernhaus hatte man für einen Balkon keinen Bedarf. Man saß auf der Holz- oder Steinbank neben der Haustüre oder unter dem schattigen Hausbaum. Hof und Garten gehörten sowieso zum täglichen Lebensbereich. In den kleinen Städten und Marktflecken drängten sich Bürger- und Bauernhäuser dicht auf langen schmalen Grundstücken. Der Freiraum war sehr knapp. Aus vielen Funktionsforderungen entwickelte sich hier die "Laube" in ihren Variationen. Man schuf sich etwas Platz, den man fast ganzjährig für Arbeiten im Freien - aber unter Dach - nutzte (z.B. konnte hier Wäsche an der Luft trocknen).

Die Laube schützte durch ihre Geschlossenheit vor den Unbilden eines wechselhaften Klimas. Die überdachte Holzkonstruktion wurde an den Baukörper angesetzt und mit Brettern verkleidet. Die dadurch entstandene Pufferzone wirkt sich günstig auf den Wärmehaushalt des Gebäudes aus.

Verglaste Laube und Fassadenbegrünung an einem Fachwerkhaus

Meist war die Laube an der dem Wetter abgewandten Seite, die Orientierung zum "Arbeitshof" war wichtig. Flatternde Wäsche und Zwiebelzöpfe gehörten nicht an die Straßen- oder Schauseite eines repräsentativen Bürgerhauses. Auch an den Scheunen und Nebengebäuden waren laubenähnliche Konstruktionen zu finden; hier hingen Knoblauch, Mais und verschiedenen Gewürzpflanzen.Einfach, schlicht und schön sind diese nur noch selten zu findenden Lauben.

Andere Beispiele von hölzernen Laubengängen sieht man an Gebäuden von Burgen und Schlössern. Hier hat die Orientierung zum Innenhof zusätzlich noch strategische Gründe. Später verschlossen einige Besitzer ihre Lauben mit aushängbaren Glasfenstern. In der kalten Winterzeit wurde die Laube zum Wintergarten. Trotz all dieser Vorteile veränderte sich unsere Einstellung und damit das Erscheinungsbild der Lauben.

Ist unsere Sucht nach Fremdländischem so groß geworden, dass fast keiner mehr diese praktischen und bewährten Lösungen haben will?

Versuch einer Umgestaltung

Kleinbäuerliches Wohnhaus, Giebelseite zum Hof und zur Scheune

Vor der Umgestaltung

An neuen davor gestellten Stützen werden die Vordächer und die Stülpschalung angebracht.

Nach der Umgestaltung

 

 

Durch die obere Öffnung wird die Nutzungsmöglichkeit des Dachbodens erweitert. Der hohe Terrassenhügel wird zum Teil abgetragen. Zwei Stufen, eine Natursteinmauer und ein sanfter Auslauf verändern die starre, künstliche Form.

 

 

Müssen Balkone so sein?

Die Grundform des Gebäudes ist durch den Rücksprung stark zerstört. Die statisch ausreichende Stützung von Balkon und Dach ist für das suchende Auge zu wenig.

Beim oberen Balkon (auskragende Stahlbetonplatte) sieht man keine stützenden Konsolen. Deshalb wirkt er wie angeklebt. Sicher ermöglicht der Stahlbeton auch beim Wohnhausbau eine Fülle neuartiger Lösungen - aber  muss man wirklich alles machen, was technisch machbar ist ?

Im Laufe der Zeit vermischen sich durch unsachgemäße Zweckentfremdung die Konstruktionsmerkmale von Balkon, Galerie und Laube/Laubengang.

Zerklüfteter Baukörper

Der sogenannte Balkon wurde breiter und länger, er wuchs unter dem Dachvorsprung hervor und zog sich um die Hausecke. Die Schwierigkeit, den überbreiten Balkon zu überdecken, löste man durch teilweises Einrücken der Außenwand und zerstörte dadurch die wichtige, einfache Grundform des Hauses. Aus dem klar erkennbaren Kubus wurde ein vieleckiges - unästhetisches Gebäude. Die unüberlegte Übernahme südbayerischer Bauformen und Balkonelemente stört das heimische Landschaftsbild. Durchgehende Stahlbetonplatten bringen bauphysikalische Probleme:

Ein Zuviel des Guten: der Balkon im Erdgeschoss hat keine echte Funktion.

Auch wenn prächtiger Blumenschmuck oft darüber hinwegtäuscht, der Betrachter solcher Balkone bekommt oft ein ungutes Gefühl, das er nicht näher definieren kann.

Das geschulte Auge erkennt folgende Fehler:

  • eine die Gebäudeform verändernde Konstruktion,
  • fehlende Stützen oder Konsolen,
  • Übergröße,
  • Überladen durch verschnörkelte Details,
  • falsche Materialwahl,
  • billige Industrieattrappen nach alten handwerklichen Vorbildern.

Viele Bauherren werden sich jetzt denken: da ist guter Rat teuer. Aber ist der teuere Rat des Fachmanns auch der richtige?

Auch der Fachmann wird sich in erster Linie an den Wünschen seiner Kunden orientieren. Deshalb sollte sich zunächst der Bauherr selbst Gedanken über sinnvolle Lösungen machen.

Die schlechteste Art landschaftlichen Gestaltens ist das plumpe Kopieren historischer Konstruktionen und die Verwendung bestimmter Stilelemente am falschen Platz. Dagegen wird uns Verständnis für die geschichtliche Entwicklung eine Rückbesinnung auf die Erfahrungen unserer Vorfahren guten und auch modernen Lösungen in vielen Fällen näher bringen.

Unsere Ahnen wussten und spürten, dass die Schönheit eines Bauwerkes am Zusammenwirken der einfachen Konstruktion, der zweckmäßigen Funktion, der klaren Form und an der sauberen Detailausbildung liegt.

Damals kannte handwerkliche Arbeit keine scharfen Kanten und auch nicht die Sterilität perfekter Symmetrie. Unser Auge freut sich heute noch an den kleinen Unregelmäßigkeiten, die jedes Detail zum Einzelstück werden lassen.

Das Geheimnis der organischen Symmetrie ist durch die industriell machbare Perfektion fast verloren gegangen. Es muss uns bewusst werden, dass für jedes bauliche Problem eine zweckmäßige Lösung erarbeitet werden kann. Der schnelle Griff zum Katalog mit seinen universell einsetzbaren dekorativen "Balkonbausatzelementen" führt zu einem fragwürdigen Erfolg ist ist keineswegs immer billiger.

Ein Modell "Garmisch" oder "Garda" passt nicht in ein fränkisches Dorf. Man sollte davon abkommen, seine Ferieneindrücke in die heimische Landschaft zu verpflanzen und durch neue Zusammenstellung der unterschiedlichen Bauelemente andere übertrumpfen zu wollen.

Entsteht der Wunsch nach einem Balkon - sei es bei der Planung eines Neubaues oder im Rahmen einer Renovierung oder Sanierung - sollte der Bauherr folgendes überlegen:

  • warum will ich einen Balkon,
  • wie will ich ihn nutzen,
  • wie groß soll er sein,
  • wo soll der Balkon geplant werden,
  • welche Konstruktion wähle ich,
  • welches Material suche ich aus,
  • wo hole ich mir Anregungen?

Weiterhin soll der Bauherr beachten:

  • die Grundform des Hauptbaukörpers darf nicht zerstört werden;
  • das Erdgeschoss sollte nur 1-2 Stufen aus dem Gelände ragen.

Diese Überlegungen können auch bei der Umgestaltung eines bereits bestehenden Balkons zu besseren Lösungen führen. Vielleicht kommt man auch zu dem Entschluss, dass bei einem Einfamilienhaus ein ebenerdiger, überdachter Freisitz viel praktischer wäre.

Vergleicht der Bauherr die Nutzungsmöglichkeiten von Balkon und Laube während der vielfachen Wetteränderungen. wird ihm der übliche Balkon unter Umständen als reines Prestigeobjekt erscheinen. Als Material kommt eigentlich nur Holz in Frage. Holzimitationen aus schnell alternden Kunststoffen und sonstige industrielle Produkte, denen man sogar künstlich handwerkliche Bearbeitungsspuren einprägt, können immer nur "Ersatz" sein.

Holz bedarf natürlich einer gewissen Pflege. Konstruktiven Holzschutz erreicht man durch glatte umlüftete Flächen. Schmuckformen mit starken Profilierungen bieten Frost und Wasser große Angriffsflächen. Der langfristig gesehene Unterhalt wird dadurch aufwendiger. Traditionelle Zimmermannsarbeit oder Ingenieurholzbau - die Wahl wird von Objekt zu Objekt unterschiedlich sein. Bezüglich der Umwehrungen schreibt die Bayerische Bauordnung vor, dass der Abstand zwischen den Teilen der Umwehrung in einer Richtung nicht größer sein darf als 12 cm, um ein Durchkriechen von Kindern zu verhindern. Bei waagrechten Verkleidungen darf der Abstand nicht größer sein als 4 cm, um das Hinaufklettern zu erschweren.